Im Laufe der Jahre sammelt der Geist neue Eindrücke, während die Erinnerung an vergangene Erlebnisse langsam verblasst. Doch Ereignisse, die einen tiefen Eindruck in der Seele hinterlassen haben, verblassen nie; sie werden zu einem lebendigen, wichtigen Bestandteil unseres Daseins. Ein solches Erlebnis war meine erste Begegnung mit meinem Guru Paramahansa Yogananda.
Ich war damals ein junges Mädchen von siebzehn Jahren, und das Leben kam mir wie eine lange, öde Straße vor, die ins Niemandsland führt. Ich betete immerfort zu Gott, dass Er mich führen und mir den Weg zu einem sinnvollen Leben zeigen möge, in dem ich Ihn suchen und Ihm dienen könnte.
Mein sehnsüchtiges Gebet wurde plötzlich erhört, als ich 1931 das riesige, überfüllte Auditorium in Salt Lake City, Utah, betrat und Paramahansaji auf dem Podium erblickte, wo er mit einer derartigen Überzeugungskraft von Gott sprach, wie ich es nie zuvor bei jemandem erlebt hatte. Ich stand wie verzaubert da – mein Atem, meine Gedanken, ja die Zeit selbst schienen stillzustehen. Während ich voller Liebe und Dankbarkeit den Segen, der sich über mein ganzes Wesen ergoss, in mich hineintrank, fühlte ich mit tiefer Überzeugung: »Hier ist ein Mensch, der Gott liebt, wie ich mir immer gewünscht habe, Ihn zu lieben. Er kennt Gott. Ihm will ich folgen.«
Die Ideale der Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit
Ich hatte präzise Vorstellungen von einem idealen geistigen Lehrer; in meinen Gedanken hatte ich sozusagen einen Thron errichtet, auf den ich ein solches Wesen erheben würde. Nun setzte ich dort ehrfurchtsvoll meinen Guru hin, und in all den Jahren, die ich in seiner Gegenwart weilen durfte, ist er – was seinen Charakter und sein Handeln anbelangt – nicht ein einziges Mal von diesem hohen Thron herabgestiegen.
Obgleich Rechtschaffenheit, Ehrgefühl und Idealismus in der heutigen Zeit unter der Flutwelle persönlicher Befriedigung begraben zu sein scheinen, hielt Gurudeva kompromisslos an den ewigen geistigen Grundsätzen fest und lebte sie den Jüngern ständig vor. Das Jahr 1931 ist mir noch gut in Erinnerung, denn in diesem Jahr brauchten wir dringend finanzielle Unterstützung. Während dieser Zeit waren unsere finanziellen Mittel so knapp, dass der Guru und die Jünger von Wassersuppe und Brot lebten oder ganz fasteten. Die Hypothek für das Anwesen auf dem Mt. Washington, unser Mutterzentrum, war fällig. Paramahansaji suchte die Gläubigerin in ihrer Wohnung auf und bat sie um eine Verlängerung der Zahlungsfrist. Großzügig verschob die verständnisvolle Dame den Termin. Dennoch schien es unmöglich, die nötige Summe rechtzeitig aufzubringen.
Da besuchte eines Tages ein Manager Gurudevas Vorträge und begann sich für dessen Lehre zu interessieren. Der Mann sah nicht nur den geistigen Wert der Lehre, sondern auch die Möglichkeit eines guten finanziellen Verdienstes. »Übergeben Sie mir die Verantwortung für den Aufbau Ihrer Organisation, dann sind Sie in einem Jahr ein gemachter Mann. Sie werden Zehntausende von Schülern haben und im Gelde schwimmen«, versprach er Paramahansaji.
Dann erklärte er seinen Plan zur Vermarktung der heiligen Lehre. Gurudeva hörte höflich zu. Es wäre tatsächlich das Ende seiner finanziellen Sorgen und die Beseitigung aller Hindernisse gewesen, die sich vor ihm auftürmten. Doch ohne einen Augenblick zu zögern, dankte er dem Mann und erwiderte: »Niemals! Ich werde aus der Religion nie ein Geschäft machen. Ich werde dieses Werk oder meine Grundsätze niemals für ein paar schäbige Dollars aufs Spiel setzen, ganz gleich, wie sehr ich in Bedrängnis bin.«
Zwei Monate später begegnete er während einer Vortragsreihe in Kansas City, Missouri, seinem fortgeschrittenen Jünger Rajarsi Janakananda, den er schon aus vielen früheren Leben kannte und der dazu bestimmt war, eine wichtige Rolle in der Self-Realization Fellowship zu übernehmen. Diese große Seele hieß den Guru als seinen göttlichen Lehrer willkommen. Er lebte ganz und gar nach der Lehre des Gurus und spendete die Summe, die zur Tilgung der gesamten Hypothek nötig war. Groß war die Freude, als wir unten am Blättertempel auf dem Mt. Washington ein Freudenfeuer anzündeten und die Papiere der Hypothek in die Flammen warfen. Da Gurudeva immer sehr praktisch veranlagt war, röstete er in der Glut Kartoffeln. Die Jünger scharten sich mit ihm um das Feuer und genossen die Kartoffeln, während die Papiere weiterhin vor sich hinschmorten – bis sie gut durchgebraten waren!
Die Göttliche Mutter versichert ihm Ihre Nähe
Noch andere Begebenheiten und Beweise für Gurujis göttliche Kraft sind mir deutlich in Erinnerung. Als ihn die wachsende Organisation mit den vielen Jüngern, die er ernähren, beherbergen und unterstützen musste, schier zu erdrücken schien und er sich danach sehnte, frei von allen Ablenkungen zu sein, um sich ununterbrochen auf Gott konzentrieren zu können, floh er in die Wüste von Arizona. Dort meditierte er und betete in der Einsamkeit zu seiner geliebten Göttlichen Mutter; er bat Sie, ihn von der Last und den ablenkenden Pflichten organisatorischer Tätigkeit zu befreien. Eines Nachts, während er meditierte, so erzählte er, »und mein Herz vor Sehnsucht nach Ihrer Antwort schier zerspringen wollte«, erschien Sie ihm und sprach diese trostreichen Worte:
»Tanz des Lebens und Tanz des Todes,
Wisse, sie kommen von Mir,
Und darum sei froh. Was wünschst du dir mehr, als dass du Mich hast?
Dieses Versprechen seiner geliebten Göttlichen Mutter, dass Sie im Leben und im Tod immer bei ihm sein würde, überwältigte ihn vor Freude, und er kehrte mit einem Herzen voller Liebe und Frieden zurück, um sich erneut der Mission anzunehmen, mit der Sie ihn betraut hatte.
Gurudeva verfügte über große geistige Kräfte – so wie sie all denen zu eigen sind, die Gott gefunden haben. Paramahansaji erklärte diese Kräfte ganz einfach als das Wirken höherer Gesetze. Als er mit seiner Mission begann, wandte er diese Gesetze in aller Öffentlichkeit an, um den Glauben seiner skeptischen Zuhörer zu stärken. Ich gehörte zu denen, die augenblicklich von ihm geheilt wurden.
In späteren Jahren pflegte Gurudeva zu sagen: »Wenn ich die Kräfte, die Gott mir verliehen hat, zur Schau stellte, könnte ich Tausende anziehen. Doch der Weg zu Gott ist kein Zirkus. Ich habe diese Kräfte Gott zurückgegeben und gebrauche sie nur dann, wenn Er es mir aufträgt. Meine Mission besteht darin, in den Seelen der Menschen Liebe zu Gott zu erwecken. Mir ist eine Seele lieber als eine ganze Menschenmenge; doch ich freue mich immer, wenn ich eine Menge von Seelen sehe.« Schließlich zog sich Gurudeva von der Öffentlichkeit zurück und konzentrierte sich mehr auf die qualitative als die quantitative Entwicklung seiner Organisation. Er suchte sich aus der Menge jene »Seelen« heraus, die mit seinen hohen Idealen und den geistigen Zielen seiner Lehre im Einklang standen.
Dienen, Weisheit und göttliche Liebe
Während eines Interviews mit einem Reporter wurde ich einmal gefragt: »Würden Sie Paramahansa Yogananda einen Bhakti-, Jnana- oder Karma-Yogi nennen?« Ich erwiderte: »Er war sehr vielseitig. Es bedurfte eines Menschen seiner Art, seines Formats und Einfühlungsvermögens, um Herz und Verstand der Amerikaner zu gewinnen. Es gelang ihm, die Kluft zwischen dem indischen und amerikanischen Lebensstil zu überbrücken. Seine Lehre ist allumfassend und kann sowohl von den Menschen des Westens als auch des Ostens angewandt werden.«
Als Karma-Yogi arbeitete Paramahansaji für Gott, um den Geist der Menschen durch seine Botschaft zu erheben; und er tat dies mit einer Hingabe, wie man sie nur selten sieht. Wenn er anderen helfen konnte, vergaß er sich selbst und seine Bedürfnisse. Er weinte mit den Leidtragenden und war unermüdlich tätig, um die Wurzel allen Leidens – die Unwissenheit – auszurotten.
In seiner Rolle als Jnani durchwob er seine zahlreichen Bücher, Vorträge und persönlichen Ratschläge mit seiner Weisheit. Seine Autobiographie eines Yogi ist zu einem maßgebenden Nachschlagewerk über Yoga geworden und wird an vielen Hochschulen und Universitäten als Lehr- und Studienmaterial benutzt. Das bedeutet nun nicht, dass Paramahansaji ein reiner Verstandesmensch war. Er sagte, Intellektualität ohne innere Erleuchtung sei wie ein Bienenstock ohne Honig. Er befreite die Religion von den Schleiern des Dogmas und der bloßen Theorie und enthüllte den Kern der Wahrheit – jene ewigen Grundsätze, die der Menschheit nicht nur eine Vorstellung von Gott geben, sondern ihr auch den Weg zu Ihm zeigen.
Seinen Jüngern ist Paramahansa Yogananda jedoch vor allem als ein Premavatar (eine Inkarnation göttlicher Liebe), als hingebungsvoller Bhakta bekannt. Was ihn besonders kennzeichnete, war seine überwältigende Liebe zu Gott, den er als Göttliche Mutter verehrte. Dies sei, so sagte Jesus, das vornehmste Gebot: »Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte.« Paramahansaji strahlte immer große Liebe aus, ganz gleich, ob er vor großen Menschenmengen sprach – wie während seiner ersten Jahre in Amerika –, ob er sich der Angelegenheiten seiner weltweiten, ständig anwachsenden Organisation annahm, der Self-Realization Fellowship/Yogoda Satsanga Society, oder ob er seinen Jüngern beistand, die zu ihm gekommen waren, um sich geistig von ihm schulen zu lassen.
Paramahansaji konnte auch sehr feurig sein, wenn geistige Strenge angebracht war, aber er zeigte immer grenzenloses Mitgefühl und notfalls Geduld. Ich weiß noch, wie wir uns einmal über die Worte einiger feindseliger Kritiker aufregten, die sein Werk angriffen, und wie er uns sagte: »Sprecht nie unfreundlich über andere Lehrer oder Organisationen. Versucht niemals, größer zu erscheinen, indem ihr anderen den Kopf abhackt. Auf dieser Welt ist Platz genug für alle, und wir sollten auf Unfreundlichkeit und Hass mit Güte und Liebe reagieren.«
Er schenkte der Welt ein »Universalgebet«, das den Kern seines Lebens zum Ausdruck bringt: »Geliebter Gott, lass Deine Liebe für immer im Heiligtum meiner Hingabe leuchten, und gib mir die Fähigkeit, Deine Liebe in allen Herzen zu erwecken.«
»Nur die Liebe kann mich ersetzen«
In seinen letzten Lebenstagen bereitete Gurudeva den Empfang des indischen Botschafters, Dr. Binay R. Sen, vor (den Guruji am folgenden Vormittag im Mutterzentrum empfangen wollte). Guruji rief uns Jünger in die Küche des Ashrams und sagte: »Heute werden wir ein Curry-Gericht und indische Süßspeisen für den Botschafter zubereiten.« Wir kochten den ganzen Tag lang, und Guruji war von großer Freude erfüllt.
Spät am Abend rief er mich zu sich und sagte: »Komm, lass uns etwas auf- und abgehen.« Der Ashram ist ein großes, dreistöckiges Gebäude; als wir den Korridor der zweiten Etage entlanggingen, blieb er vor dem Bild seines Gurus, Swami Sri Yukteswarji, stehen. Lange Zeit schaute er das Bild unverwandt an, ohne dass sich seine Augen bewegten. Dann wandte er sich, in Gedanken versunken, zu mir und sagte: »Weißt du, dass es sich nur noch um Stunden handelt, bis ich diese Erde verlasse?« Meine Augen füllten sich mit Tränen. Intuitiv wusste ich, dass seine Worte sich bewahrheiten würden. Als er mir einige Zeit vorher gesagt hatte, dass er seinen Körper bald verlassen werde, hatte ich ausgerufen: »Meister, du bist der Diamant im Ring unserer Herzen, im Ring deiner Organisation. Wie sollen wir ohne dich fertig werden?« Welche Liebe und welches Mitgefühl strahlten da aus seinen Augen, die mir wie ein stiller See göttlicher Seligkeit erschienen. »Wenn ich nicht mehr hier bin, kann nur die Liebe mich ersetzen. Sei so trunken von göttlicher Liebe, dass du überall nur noch Gott wahrnimmst, und schenke diese Liebe allen anderen.«
An seinem letzten Tag auf Erden sollte er auf einem Bankett, das im Zentrum von Los Angeles zu Ehren des Botschafters veranstaltet wurde, eine Ansprache halten. Wir, die wir ihm dienten, waren schon früh aufgestanden und gingen in sein Zimmer, um zu fragen, ob er etwas brauche. Als wir eintraten, saß er sehr still auf dem Sessel, in dem er oft meditierte und in Ekstase einging. Immer, wenn wir nicht reden sollten, legte er seinen Finger an die Lippen und drückte damit aus: »Ich will schweigen«. Im Augenblick, da er das tat, fühlte ich, wie sich seine Seele zurückzog, wie er allmählich alle verborgenen Bindungen löste, welche die Seele an den Körper fesseln. Obgleich mich das traurig machte, fühlte ich auch große Kraft in mir aufsteigen, denn ich wusste, dass mein Guru aufgrund meiner Hingabe immer in meinem Herzen weiterleben würde, ganz gleich, was geschähe.
Er verweilte den ganzen Tag lang in diesem verinnerlichten Bewusstseinszustand. Gegen Abend fuhren wir ihn zu dem großen Hotel, wo das Bankett stattfinden sollte. Als wir dort eintrafen, hatten wir noch etwas Zeit, und Guruji wartete oben in einem kleinen Zimmer, wo er still meditierte. Wir Jünger saßen um ihn herum auf dem Fußboden. Nach einer Weile blickte er jeden von uns nacheinander an. Ich weiß noch, dass ich dabei dachte: »Mein geliebter Guru gibt mir zum Abschied sein Darshan.« Dann ging er hinunter in den Bankettsaal.
Viele Besucher waren erschienen, darunter Vertreter der Stadt, des Bundeslands und Beamte der indischen Regierung. Ich saß in einiger Entfernung vom Rednertisch, doch meine Aufmerksamkeit und mein Blick waren ständig auf das Gesicht meines geliebten Gurus gerichtet. Schließlich war er an der Reihe zu sprechen. Gurudeva war der letzte, der die Versammlung vor dem Botschafter Sen begrüßen sollte. Als Guruji sich von seinem Stuhl erhob, blieb mein Herz einen Augenblick lang stehen, und ich dachte: »Oh, jetzt ist es soweit!«
Als er zu sprechen begann, tat er es mit solch tiefer Gottesliebe, dass er die ganze Zuhörerschaft in seinen Bann zog; niemand rührte sich. Alle waren wie verzaubert von der überwältigenden Liebe, die aus seinem Herzen floss und sich über uns alle ergoss. An diesem Abend hat sich das Leben vieler der Anwesenden gewandelt – darunter waren auch einige, die später als Ordenmitglieder in den Ashram eintraten, und viele, die Mitglieder unserer Gemeinschaft wurden –, denn dieses göttliche Erlebnis berührte sie alle zutiefst. Seine letzten Worte galten seinem geliebten Indien:
»Wo der Ganges, die Wälder, die Höhlen im Himalaja und die Menschen von Gott
träumen - dort ward ich geweiht, mein Körper hat jenen Boden berührt.«
Als er diese Worte gesprochen hatte, richtete er seine Augen empor zum Kutastha-Zentrum, und sein Körper sank zu Boden. Im nächsten Augenblick schon – unsere Füße schienen kaum den Boden zu berühren – waren zwei von uns Jüngerinnen [Daya Mata und Ananda Mata] an seiner Seite. Da wir dachten, er könne in den Samadhi eingegangen sein, sangen wir leise »OM« in sein rechtes Ohr. (Er hatte uns in früheren Jahren erklärt, wenn er einmal in Ekstase eingehe und nach einiger Zeit nicht ins Wachbewusstsein zurückkehre, könnten wir ihn zurückbringen, indem wir »OM« in sein rechtes Ohr singen.)
Während ich das tat, hatte ich ein wundersames Erlebnis. Ich weiß nicht, wie ich es euch beschreiben soll, doch als ich über meinem gesegneten Guru kniete, konnte ich sehen, wie seine Seele den Körper verließ; und dann strömte eine gewaltige Kraft in mich ein. Ich sage bewusst »gewaltig«, denn es war eine überwältigende, glückselige Kraft der Liebe, des Friedens und des Verstehens. Ich weiß noch, dass ich mich fragte: »Was ist das?« Mein Bewusstsein wurde derart emporgehoben, dass ich keine Trauer empfinden und auch nicht weinen konnte; und das hat sich seit jenem Tage nicht geändert; so weiß ich ohne jeden Zweifel, dass er wahrhaftig bei mir ist.
Der Tod konnte ihm nichts anhaben
Jemand hat mich einmal gefragt, ob unser Guru mir erschienen ist, nachdem er seinen Körper verlassen hat. Ja, er ist mir erschienen. Ich werde im Verlauf meiner Erzählung noch mehr darüber berichten. Tausende kamen, um Gurujis sterbliche Hülle zum letzten Mal zu sehen. Seine Haut war von einem Goldton, wie von goldenem Licht durchströmt; um seine Lippen spielte ein gütiges, seliges Lächeln; es war, als segne er jeden einzelnen. Sein Körper blieb selbst einundzwanzig Tage, nachdem er ihn verlassen hatte, vollkommen unversehrt. Er wies nicht die geringsten Anzeichen der Verwesung auf. Und sogar in der westlichen Hemisphäre des nüchternen Denkens berichteten die Zeitungen in großen Schlagzeilen von diesem wundersamen Ereignis. Die Friedhofsbeamten, die den Körper untersuchten, erklärten »den Fall Paramahansa Yoganandas nach ihrem Wissen für einzigartig«.
Nicht lange danach wurde mir die volle Verantwortung für Gurudevas Werk übertragen.
Wenn ein großer Lehrer diese Welt verlässt, geschieht es oft, dass sich unterschiedliche Meinungen über die Weiterführung des vom Guru begonnenen Werkes bilden. Am Morgen, nachdem ich die Leitung übernommen hatte, tauchten während einer Versammlung mehrere Fragen auf. Sollte die Leitung des Werkes in den Händen einer Person im Familienstand oder in den Händen von Ordensmitgliedern liegen? Guruji hatte uns gesagt, dass diese Aufgabe nur von Ordensmitgliedern übernommen werden sollte, die, wie er, ihr Leben einzig und allein seinem Werk geweiht hatten; doch einige Mitglieder stellten diese Anweisung in Frage. Es stimmt, dass Guruji alle Gottsucher gleich liebte. Auch ich mache da keinen Unterschied, warum so viel Gewicht auf Äußerlichkeiten legen? Ein Gottsucher ist deshalb ein Gottsucher, weil er Gott liebt – nicht, weil er ein ockerfarbenes Gewand trägt. Dennoch war ich sehr besorgt.
In jener Nacht betete ich innig zu Guruji und suchte in tiefer Meditation seine Antwort. Als ich bis spät in die Nacht hinein meditiert hatte, sah ich plötzlich, wie sich mein Körper vom Bett erhob und den Korridor hinunterschritt, um in Gurudevas Zimmer zu gehen. Auf einmal erblickte ich aus den Augenwinkeln seinen Schal, der sich wie in einem leichten Luftzug bewegte. Als ich mich umdrehte, stand dort mein Guru! In großer Freude lief ich zu ihm hin, kniete vor ihm nieder, um den Staub von seinen Füßen zu nehmen, und hielt diese fest umschlungen.
»Meister, Meister,« rief ich, »du bist nicht gestorben, du bist nicht von uns gegangen. Der Tod kann dir nichts anhaben.« Da neigte er sich zu mir herab und berührte liebevoll meine Stirn. Als er dies tat, erhielt ich augenblicklich die Antwort, die ich während der Besprechung am folgenden Morgen geben musste. Guruji segnete mich, und plötzlich sah ich mich wieder auf meinem Bett sitzen.
Am nächsten Morgen traf ich mich mit den Vorstandsmitgliedern und teilte ihnen die Antwort mit, die Guruji mir vermittelt hatte; seitdem ist sein Werk einheitlich geblieben und ständig angewachsen. Das verdanken wir Gottes Segen.
Der ewig lebende Guru
Paramahansa Yogananda wird immer der Guru und höchste geistige Leiter der Self-Realization Fellowship/Yogoda Satsanga Society of India sein. Wir alle führen das Werk weiter, das er ins Leben gerufen hat, und dienen ihm voller Demut als seine Jünger. Unser einziger Wunsch ist es, die Aufmerksamkeit und die Hingabe aller, die diesen Weg einschlagen, auf Gott zu lenken und auf unseren göttlichen Guru, der ihnen Gott offenbaren kann. Gurudeva erinnerte uns häufig daran, dass Gott allein der eigentliche Guru ist. Gurudeva war Gottes Werkzeug und hatte nur einen Wunsch: uns zur Göttlichen Quelle zurückzuführen, die uns – mehr als alles andere – das vermitteln kann, wonach unsere Seele verlangt. Wer dem Guru treu ist, der ist auch Gott treu. Dem Guru und seinem Werk zu dienen, bedeutet, Gott zu dienen, denn es ist ja Gott, dem wir unsere höchste Treue schenken. Der Guru ist der von Gott bestimmte geistige Vermittler, durch dessen Segen und inspirierende Lehre wir zu Gott zurückfinden.
Früher dachte ich immer, dass es für die Mitglieder sehr schwierig sein würde, die Beziehung zwischen Guru und Jünger richtig zu verstehen, sobald der Meister einmal diese Erde verlassen habe. Obgleich ich diese Zweifel Guruji gegenüber nie erwähnt hatte, antwortete er oft auf unsere unausgesprochenen Gedanken. Eines Abends, als ich zu seinen Füßen saß, sagte er mir: »Denen, die mich nahe glauben, werde ich nahe sein. Dieser Körper hat keine Bedeutung. Wenn du an dieser körperlichen Gestalt hängst, wirst du mich in meiner unendlichen Form nicht finden können. Aber wenn du über diesen Körper hinausblickst und mich als das erkennst, was ich wirklich bin, dann wirst du auch wissen, dass ich immer bei dir bin.«
Erst später verstand ich die volle Bedeutung dieser Worte. Eines Abends, als ich meditierte, kam mir folgender Gedanke: Denk einmal an die Jünger, die sich in den wenigen Jahren, die Jesus Christus auf Erden lebte, um ihn scharten. Einige hatten große Ehrfurcht vor ihm; andere dienten ihm selbstlos. Doch wie viele aus der großen Menge haben ihn wirklich verstanden und sind ihm bis ans Ende des Weges gefolgt? Wie viele sind während seiner großen Prüfung und im Augenblick des Todes bei ihm geblieben und haben ihn unterstützt? Viele, die Jesus kannten und die Gelegenheit hatten, ihm zu folgen, verließen ihn noch zu seinen Lebzeiten. Und dennoch wurde zwölf Jahrhunderte, nachdem Jesus Christus diese Erde verlassen hatte, ein demütiger, liebenswerter und einfacher Gottsucher geboren, der durch sein wunderbares Leben und seine vollkommene Einstimmung auf Christus, durch seine tiefe Verbundenheit mit ihm, alles verkörperte, was Jesus gelehrt hatte – und dadurch Gott fand. Dieser demütige kleine Mann war der heilige Franziskus von Assisi, den Guruji so sehr liebte. Mir wurde klar, dass dasselbe geistige Gesetz, dem der heilige Franziskus folgte, auch heute noch für uns alle gültig ist. Er hatte sich vollkommen auf seinen Guru eingestellt, obgleich dieser schon Jahrhunderte vor ihm auf der Erde gelebt hatte.
Ein wahrer, gottgesandter Guru lebt ewig. Er kennt seine Jünger und hilft ihnen, ganz gleich, ob er auf derselben Ebene inkarniert ist wie sie oder nicht. Alle, die sich bemühen, durch hingebungsvolles konzentriertes Üben der vom Guru gelehrten Meditationstechniken mit ihm in Verbindung zu gelangen, werden seine Führung und seinen Segen heute und in Zukunft genauso stark fühlen wie wir damals, als er noch körperlich bei uns war. Das sollte all denen ein großer Trost sein, die nach dem Heimgang Paramahansa Yoganandas zu ihm fanden und traurig darüber sind, dass sie nicht die Gelegenheit hatten, diese heilige Seele während ihres Erdendaseins kennenzulernen. Ihr könnt ihn kennenlernen, wenn ihr still meditiert. Taucht mit euren hingebungsvollen Gebeten immer tiefer nach innen, dann werdet ihr seine heilige Gegenwart fühlen. Wenn wir, die wir jetzt sein Werk weiterführen, das nicht erkannt und erfahren hätten, wären wir auch nicht fähig, seinem Werk zu dienen. Nur weil wir seinen Segen und seine Führung spüren und weil wir wissen, dass er uns heute ebenso nahe ist wie damals, als er noch körperlich unter uns weilte, haben wir die Kraft, die Entschlossenheit, die Begeisterung, die Hingabe und die Überzeugung, dass wir unseren Teil zur Verbreitung der Botschaft der Self-Realization Fellowship beitragen können.
Paramahansajis Leben und Werk hat bereits in großem Maße den Lauf der Geschichte beeinflusst; und ich bin überzeugt davon, dass dies erst der Anfang ist. Guruji gehört zum geheimen Bund göttlicher Seelen, die sich schon früher auf Erden inkarniert haben, um das Licht der Wahrheit zu verbreiten und der Menschheit den Weg zu zeigen. Früher oder später muss sich die Welt diesem Licht zuwenden, denn es ist nicht Gottes Wille, dass der Mensch durch seine eigene Unwissenheit zugrunde gehe. Eine bessere Zukunft liegt vor uns, die der Menschheit die Augen öffnen wird, sodass sie das Morgenrot einer neuen Zeit erlebt. Paramahansa Yogananda und andere, die das Göttliche Licht widerspiegeln, sind die Fackelträger dieser neuen Zeit.